Anmerkungen des DIÄTVERBANDes zum Stand des Gerichtsverfahrens zur Arzneimittel-Richtlinie "Enterale Ernährung"

Bonn - Seit ca. 4 Jahren ist der Gemeinsame Bundesausschuss bestrebt, die Arzneimittelrichtlinie hinsichtlich ihres Teils zur enteralen Nahrung zu ändern und die Verordnungsmöglichkeiten/Erstattungsmöglichkeiten drastisch einzuschränken. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat diese Bestrebungen bislang verhindert und im Interesse der gesetzlich versicherten Patienten die Entscheidungsmöglichkeiten der Ärzte weitgehend erhalten. Dies erfolgte im Wege so genannter Beanstandungen (die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses wurden vom BMG beanstandet und konnten so nicht umgesetzt werden) und einer Ersatzvornahme, durch die das BMG seit Herbst 2005 die Verordnung selbst neu geregelt hat.

Gegen die letzte Beanstandung des BMG vom 27.4.2005 hat der Gemeinsame Bundesausschuss beim Sozialgericht Köln Klage erhoben. Das SG Köln hat am 21.3.2007 (S 19 KA 27/05) entschieden, dass die Beanstandung des BMG vom 27.4.2005, durch die das Inkrafttreten einer vom GBA beschlossenen neuen Fassung der AMR-Richtlinie verhindert wurde, rechtswidrig gewesen sei und wollte diese Beanstandung daher aufheben. Dieses Urteil ist indessen bisher nicht rechtskräftig geworden, weil vom BMG Berufung eingelegt worden ist. Die folgende Verhandlung findet in nächster Instanz vor dem zuständigen Landessozialgericht Essen statt.

Der Diätverband nimmt zu diesem Vorgang wie folgt Stellung:

Gegenstand der Entscheidung des SG Köln sind im Wesentlichen drei Punkte:

1. Es geht zunächst um die Frage, wie der Wortlaut des § 31 SGB V im Hinblick auf die dort normierte Verordnungsfähigkeit/Erstattungsfähigkeit von enteraler Nahrung zu verstehen ist. Insbesondere ist von Bedeutung, ob es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt - die eng auszulegen wäre - oder ob § 31 SGB V vorgibt, dass die Verordnungsfähigkeit der verschiedensten Produkte enteraler Nahrung in allen medizinisch notwendigen Fällen zu gewährleisten ist. In letzterem Fall wäre es notwendig, in der vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu erstellenden Richtlinie eine Öffnungsklausel für solche Fälle und Nahrungsarten vorzusehen, die zwar nicht ausdrücklich im Gesetz genannt sind, in denen jedoch die Behandlung von Mangelernährung gleichwohl medizinisch notwendig ist (vgl. i. E. Schütze, Die ambulante Versorgung mit künstlicher Nahrung, in: Kölner Schriften für das Gesundheitswesen S. 19-22).

Das Sozialgericht geht in diesem Zusammenhang ebenso wie der Gemeinsame Bundesausschuss davon aus, dass keine Öffnung für weitere Fälle erforderlich ist. Diese Annahme stützt sich auf den missverständlichen Gebrauch des Wortes "ausnahmsweise" in der bis zum 29.06.2007 Fassung des § 31 SGB V, der auch so verstanden werden konnte, dass die Versorgung mit Nahrung ein Ausnahmefall ist. Dieser Ansatz ist nach Auffassung des Diätverbandes nicht haltbar.

Es wird zunächst übersehen, dass ganz allgemein "Sondennahrung" verordnungsfähig ist und dieser Begriff gerade keine Festlegung auf bestimmte Produktarten enthält. Schon daraus ergibt sich eine Öffnung. Der Diätverband hat außerdem bereits in seiner Stellungnahme zum Beschluss des GBA im Februar 2005 dargelegt, dass und warum der Gebrauch des Wortes "ausnahmsweise" in § 31 SGB V nicht darauf hindeutet, dass die Versorgung der gesetzlich Versicherten mit enteraler Nahrung nur ausnahmsweise und nur unter Verwendung der ausdrücklich genannten Substrate erfolgen darf. Mit "ausnahmsweise" weist der Gesetzgeber vielmehr darauf hin, dass die Einbeziehung enteraler Nahrung in die Kategorie der Medikamente und die Regelung der Einzelheiten in der Arzneimittelrichtlinie eine systematische Ausnahme ist – denn natürlich handelt es sich nicht um Medikamente, sondern um Nahrung.

Inzwischen hat die seit dem 30.06.2007 geltende Rechtsauffassung des § 31 SGB V diese Ansicht des Diätverbandes bestätigt, denn es heißt dort nun:

"Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden: ..."
 
Die Interpretation des SG Köln ist deshalb sowohl auf der Grundlage der alten Fassung des § 31 SGB V als auch in Ansehung der derzeit gültigen Fassung nicht zutreffend.

2. Weiter hat das SG Köln die so genannte HTA-Auswertung des GBA erwähnt und die Ansicht deutlich werden lassen, dass der GBA mit dieser Recherche seiner Verpflichtung zur sorgfältigen Prüfung der Datenlage nachgekommen sei.

Das Gericht kommt deshalb auch zu der Bewertung, die zahlreichen Ausschlüsse in der vom GBA beschlossenen Richtlinie seien fachlich vertretbar.

Tatsächlich hat der GBA allerdings bei der HTA-Recherche vorgegeben, es sei nach Belegen dafür zu suchen, inwieweit (enterale) Nahrung einen nachweislich positiven Einfluss auf den Verlauf einer Krankheit wie z. B. Krebs habe. Da bisher veröffentlichte Studien dies weder als Fragestellung und daher natürlich nicht als Ergebnis hatten, wurde trotz umfangreicher Suche kaum etwas gefunden. Der GBA hat dann dieses Ergebnis zum Anlass genommen, in seiner Richtlinie die meisten Indikationen für die Verordnung von enteraler Nahrung auszuschließen.

Zwischenzeitlich wurde jedoch aufgrund seit 2006 vorliegender Leitlinien (ESPEN, DGEM), die das aktuelle ernährungsmedizinische Wissen zur enteralen Ernährungs­therapie reflektieren, die Wirksamkeit einer enteralen Ernährung für zahlreiche Indikationen anhand vieler Studien in einem evidenz- und konsensusbasierten Prozess evaluiert.

Der Ansatz des GBA bei der Beauftragung der Recherche ist indessen nicht vertretbar. Denn Nahrung dient der Ernährung und nicht der Heilung einer Krankheit. Enterale Nahrung ist deshalb unabhängig von der jeweiligen Krankheitsdiagnose eine Krankheit "medizinisch notwendig", wenn eine Mangelernährung mit Krankheitswert vorliegt (vgl. näher dazu auch Schütze, a. a. O. Seite 29 m. w. N.)

3. Schließlich hat das SG Köln sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Befugnisse dem BMG im Verhältnis zum GBA zustehen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Beanstandung schon deshalb ungerechtfertigt sei, weil dem BMG nur eine Rechtsaufsicht über den GBA und darüber hinaus nicht auch noch fachaufsichtliche Befugnisse zustünden.

Diese Frage ist zwar umstritten und bisher nicht höchstrichterlich geklärt (für eine zusätzliche Fachaufsicht sprechen sich u. a. aus: Merten NZS 2006 337 ff; Jahn, § 94 Rn 2; juris PK SGB V § 94 Rn 8 - ausdrücklich wurde die Frage zuletzt offen gelassen vom BSG im Urteil v. 31.5.2006 B 6 KA 13/05 R).

Hiervon hängt indessen gerade nicht notwendigerweise ab, ob die Beanstandung des BMG rechtmäßig war. Denn die Beanstandung war bereits gerechtfertigt und rechtmäßig, wenn der Beschluss des GBA den von § 31 SGB V vorgegebenen Rahmen nicht eingehalten hat. Der GBA hat in der Tat nach Auffassung des Diätverbandes die gesetzlichen Vorgaben für die zu erstellende Richtlinie in nicht vertretbarer Weise interpretiert. Er hat vielmehr wesentliche Vorgaben falsch interpretiert und dies zur Grundlage seines Beschlusses gemacht. Diese Überschreitung der ihm gesetzten rechtlichen Grenzen kann das BMG bereits (nur) in Ausübung einer Rechtsaufsicht beanstanden.

Die Entscheidung des SG Köln begegnet damit erheblichen Bedenken und es ist deshalb zu begrüßen, dass das BMG gegen das Urteil Berufung zum LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt und dort die Entscheidung zur Überprüfung gestellt hat.

Die im Wege der Ersatzvornahme entstandene derzeitige Fassung der AMR-Richtlinie ermöglicht auch weiterhin eine angemessene und dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechende Versorgung der Patienten im ambulanten Bereich und erhält den behandelnden Ärzten den notwendigen Spielraum. Bis zum Abschluss des Rechtsstreites bleibt die Ersatzvornahme unangetastet und unverändert, so dass die Verordnungspraxis/Erstattungspraxis von enteraler Nahrung in keiner Weise beeinflusst wird.

Download: Pressematerial des DIÄTVERBANDes

DIÄTVERBAND e.V.

Bonn, September 2007